Rechtsextremistische Tendenzen in Sicherheitsbehörden sind im Oktober 2020 erstmals im Lagebericht „Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz umfassend dokumentiert worden. Auch wenn die Zahl der Vorfälle in Relation zur Gesamtzahl der Beschäftigten gering ist, beeinträchtigen sie doch den guten Ruf und die Arbeit der Sicherheitsbehörden. Die Gesellschaft muss sich darauf verlassen können, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden, die mit weitgehenden Befugnissen ausgestattet sind, unzweifelhaft auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen.
Um derartigen Tendenzen in der Polizei in Nordrhein-Westfalen entgegenzuwirken, wurden im Mai 2020 in allen Polizeibehörden Extremismusbeauftragte bestellt. Die Vorfälle mit rechtsextremistischen Chatgruppen in Essen-Mülheim haben Innenminister Herbert Reul jedoch veranlasst, noch einen Schritt weiter zu gehen. Zum 15. Oktober 2020 wurde der bisherige stellvertretende Leiter des Verfassungsschutzes NRW, Uwe Reichel-Offermann, zum Sonderbeauftragten „Rechtsextremistische Tendenzen in der nordrhein-westfälischen Polizei“ bestellt und eine Stabsstelle im Ministerium des Innern eingerichtet.
Der Sonderbeauftragte und die Stabsstelle haben den Auftrag, ein Handlungskonzept zur Früherkennung, Entgegnung und Vorbeugung rechtsextremistischer Tendenzen bei der Polizei NRW zu erarbeiten.
In einem ersten Arbeitsschritt wird ein erweitertes Landeslagebild über fremdenfeindliche, rassistische und rechtsextremistische Vorfälle in der Polizei NRW zwischen dem 1. Januar 2017 und dem 31. Dezember 2020 erstellt.
In diesem Lagebild werden alle in den Polizeibehörden erhobenen Fälle berücksichtigt, welche die Schwelle zum eingeleiteten Disziplinar- oder arbeitsrechtlichen Verfahren erreicht haben. Hierbei werden Handlungsarten, Verfahrensergebnisse und organisatorische und soziostrukturelle Daten einer genauen Betrachtung unterzogen.
Die Ermittlung von Einflussfaktoren für das Entstehen rechtsextremistischer Haltungen oder Verhaltensweisen wird durch zwei wissenschaftliche Erhebungen unterstützt: Das geschieht durch Experteninterviews und sogenannte teilnehmende Beobachtungen.
Ziele der Experteninterviews sind Erkenntnisse über die Entstehung, Duldung und Akzeptanz fremdenfeindlicher, rassistischer und rechtsextremistischer Tendenzen in der Polizei NRW sowie über die Entwicklung von Schutzfaktoren zu gewinnen. Fachleute aus den unterschiedlichsten Bereichen haben sich in Praxis und Forschung mit der Fragestellung beschäftigt, so dass von ihrem Wissen profitiert werden kann. Durch die geführten Interviews wird sich eine Vielzahl an Ansatzpunkten für die weitere Entwicklung von Maßnahmen ergeben. Die Experten kommen aus den Bereichen
- Leitung von Polizeibehörden,
- Polizeiführung aller Ebenen,
- Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte,
- Personalvertretungen,
- Extremismusbeauftragte,
- Polizeibeauftragter,
- Soziale Ansprechpartner,
- Polizeiseelsorge,
- Gewerkschaften,
- Innenpolitik,
- NGOs,
- Wissenschaft,
- Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen,
- Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei und
- Deutsche Hochschule der Polizei.
Auch in der teilnehmenden Beobachtung sollen Erkenntnisse über die Entstehung, Duldung und Akzeptanz fremdenfeindlicher, rassistischer und rechtsextremistischer Tendenzen in der Polizei NRW sowie über die Entwicklung von Schutzfaktoren gewonnen werden. Ihr zentrales Ziel liegt allerdings darin, eine Vielzahl an Beschäftigten der Polizei NRW zu beteiligen. Durch diese Erhebungen wird nicht über die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten geredet, sondern mit ihnen gesprochen. So werden sie in die aktuelle Diskussion mit eingebunden. Letztendlich sind sie die Expertinnen und Experten der Praxis und haben den besten Einblick in die Prozesse, die zum Entstehen solcher Tendenzen führen können.
Die teilnehmenden Beobachtungen werden in ausgewählten Kreispolizeibehörden in allen Aufgabenbereichen der Polizei NRW in den Basisorganisationseinheiten durchgeführt. Selbstverständlich wird bei der teilnehmenden Beobachtung die Anonymität der beteiligten Personen geschützt.
Neben den wissenschaftlichen Erhebungen werden die bisherigen Maßnahmen der Früherkennung. das Auswahlverfahren und die Inhalte der Aus- und Fortbildung überprüft und in Bezug auf die Wertevermittlung, Aufklärung und Sensibilisierung fortentwickelt. Des Weiteren wird der aktuelle wissenschaftliche Forschungsstand für zu erarbeitende Empfehlungen berücksichtigt. Nicht zuletzt wollen wir von den Erfahrungen in anderen Bundesländern profitieren.
Nach Ende der Datenerhebung und auf Grundlage einer vorläufigen Analyse werden die vorliegenden Ergebnisse in einer Reflexionsphase mit wesentlichen Akteuren rückgekoppelt, darunter werden sich Vertreterinnen und Vertreter der Polizeiabteilung des Innenministeriums NRW, der Behördenleitungen und Polizeiführungen, der Polizeigewerkschaften, der Wissenschaft und von NGOs befinden.
Soweit sich im laufenden Prozess Sofortmaßnahmen ergeben und anbieten, werden diese in Abstimmung mit der Polizeiabteilung des Inneministeriums NRW bereits prozessbegleitend in Angriff genommen.