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Verkehrskontrolle Schwerpunkt Tuning
Carfriday: Der Kick für den Augenblick kostet Menschenleben
Die Polizei ist am Karfreitag und in der Nacht zu Samstag wiederholt im Einsatz gegen Raser und Tuner, die den Straßenverkehr gefährden und die öffentliche Ordnung stören. 

Raser und Tuner meinten in den vergangenen Jahren immer wieder, den gesetzlichen Karfreitag-Feiertag zum "Carfriday" umbenennen zu müssen, um mit auch illegal umgebauten Autos Rennen zu fahren und sich in Szene zu setzen. Sie riskieren Leib und Leben im Straßenverkehr und stören auch in den Nachtstunden mit unerträglichem Lärm die Anwohner.

Sie missachten Verkehrsregeln, sind zu laut und vor allem: zu schnell. Die illegale Tuning-, Poser- und Raserszene ist durch ihr rücksichtloses und gefährliches Verhalten in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der NRW-Polizei gerückt. Vor allem verbotene Kraftfahrzeug- und Beschleunigungsrennen haben bereits zu mehreren Schwerverletzten und Toten geführt. Diesen Rennen kommt daher eine besondere Bedeutung zu: Alle Möglichkeiten zur Bekämpfung von Intensivtätern im Straßenverkehr sollen dabei ausgeschöpft werden. Dazu gehören auch regelmäßige Tuning-Kontrollen, bei denen verdächtige Fahrzeuge auf Herz und Nieren geprüft werden. Einer der Tuning-Experten der NRW-Polizei ist Pascal Weise vom Polizeipräsidium Dortmund. Seit 2017 gehört er dort zur Sonderverkehrsgruppe. Im Interview berichtet er von seiner Arbeit – und warum der Verkehrsdienst alles andere als langweilig ist.

 

Warum haben Sie sich für den Verkehrsdienst entschieden – und dann auch noch für den Spezialbereich Tuning?

Pascal Weise: Ich kannte den Verkehrsdienst ja und war schon früher bei fast allen kooperativen Kontrollen im Bereich Tuning dabei. Im Jahr 2017 habe ich mich für den Wechsel entschieden. Das war eine neue Herausforderung. Die Themenfelder sind interessant und vor allem kann man sich richtig in ein Thema einarbeiten. Vorteilhaft sind hier die Rahmenbedingungen. Wenn man eine Kontrolle beginnt, führt man sie bis zum Ende durch. Man kann sich in der Regel die nötige Zeit dazu nehmen und alles vernünftig prüfen. Mit dem Bereich Tuning beschäftige ich mich schon seit 2005 – sowohl dienstlich als auch privat.  Das Thema interessiert mich einfach. Dazu kommt: Damals hat es Änderungen in der Bußgeldordnung der Straßenverkehrszulassungsordnung gegeben. Plötzlich war es so, dass eine erloschene Betriebserlaubnis nur noch mit maximal 50 Euro bußgeldbewährt war. Und das zum Teil bei Verstößen, die die Verkehrssicherheit massiv gefährden können. Ich finde, das geht so nicht.    

 

Wie haben Sie sich inhaltlich auf den Job vorbereitet? 

Weise: Einmal durch die dienstliche Fortbildung. Es gibt ein sehr gutes Seminar zum Thema Tuning beim Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der NRW-Polizei. Ich habe mich aber auch privat viel mit dem Thema beschäftigt. Welche Möglichkeiten gibt es zum Beispiel für digitales Tuning, etwa für die Softwareanpassung von Motorsteuergeräten? Was kann man überhaupt alles an einem Fahrzeug umprogrammieren? Damit man überhaupt einen Vergleich hat, muss man wissen, wie ein Serienfahrzeug aussieht und man muss wissen, was man daran alles verändern kann. Erst dann kann man prüfen, ob alles noch gesetzlich konform ist.

 

Was macht Ihnen bei dem Job am meisten Spaß?

Weise: Die Kontrollen sind eine Herausforderung. Man wird nie jemanden erleben, der einem bei einer Kontrolle entgegenspringt und sagt: »Ich habe Folgendes an meinem Wagen verändert.« Es ist immer ein Nachforschen und genaues Hinschauen. Wenn man dann Fachkenntnis beweist, sind viele überrascht. Oft geht derjenige davon aus, dass er mit den Manipulationen am Fahrzeug durchkommt. Kommt er aber nicht.

 

Was wird denn hauptsächlich manipuliert?

Weise: Grundsätzlich geht es nach dem Motto: tiefer, härter,  lauter. Das heißt, die Fahrzeuge werden tiefergelegt, es wird eine andere Rad-Reifen-Kombination genutzt und die Abgasanlage wird manipuliert.

 

Wie reagieren die betroffenen Fahrzeughalter auf die Kontrollen?

Weise: Das ist ganz unterschiedlich. Das reicht von Verständnis und der Einsicht, dass man etwas falsch gemacht hat, bis zu komplettem Unverständnis. Und oft versuchen die Fahrzeughalter, mir zu erklären, wie ich meinen Beruf zu machen habe und was ich  lieber machen sollte, anstatt eine solche Kontrolle  durchzuführen. Dabei ist die Verkehrssicherheitsarbeit ein wesentlicher Teil  polizeilicher Aufgabenwahrnehmung. 

 

Angenommen, ein kontrolliertes Fahrzeug ist durch das Tuning nicht mehr verkehrssicher. Reden Sie den Leuten ins Gewissen? 

Weise: Auf jeden Fall. Auch wenn das nicht einfach ist. Es sind ja nun einmal größtenteils sehr junge Menschen, unsere Zielgruppe ist zwischen 18 und 25 Jahre alt. Die Fähigkeit, die eigenen Handlungen mit sämtlichen Konsequenzen abschätzen zu können, ist in diesem Alter manchmal noch etwas eingeschränkt. Sie machen sich einfach zu wenig Gedanken. Aber sie müssen verstehen, dass der illegale Umbau eines Fahrzeugs die Ursache für einen Unfall sein kann. Davon abgesehen, dass ich mich selbst und andere damit in Gefahr bringe, sollten sie auch mal an die spätere Schadensregulierung denken. Die Gewissheit, dass ich einen anderen Menschen verletzt oder gar getötet habe, ist allein schon sehr belastend. Das ist aber ja noch nicht alles. Es kommen auch noch Regressforderungen der Versicherung auf mich zu.  Bei schweren Unfällen kommt das Auto grundsätzlich zu einem Gutachter. Wenn dann am Wagen Veränderungen festgestellt werden, die dann nachweislich auch noch die Unfallursache waren, zahlt die Versicherung nicht. Dann kann sich der Beschuldigte darauf einstellen, dass er danach auch extreme finanzielle Probleme bekommt. Das ist vielen überhaupt nicht bewusst. Ich mache den Fahrzeughaltern auch klar, dass es für die Polizei nicht einfach ist, Familienmitgliedern eine Todesnachricht zu überbringen. Wir sind alle Menschen. Und so etwas nimmt einen auch als Polizist mit. Da kann man Professionalität noch so groß schreiben. Dieser Kick für einen kurzen Augenblick wird teilweise mit Menschenleben bezahlt. Das versuche ich klar zu machen. Der Spaß ist nun mal durch Gesetze limitiert. Wir müssen alle rücksichtsvoll miteinander umgehen. Und ich finde persönlich, das ist nicht nur ein Anspruch, der sich aus dem Gesetz ergibt, sondern das sollte eine menschliche Selbstverständlichkeit sein.

 

Gab es Fahrzeuge bei Kontrollen, an die Sie sich immer noch erinnern können?

Weise: Da fallen mir zwei Beispiele ein. Beide Male waren bei einer Tuning-Großkontrolle. Das eine war ein Golf 7 GTI. Der wurde von einem ortsansässigen Tuner leistungstechnisch derart umgebaut, dass selbst der Sachverständige bei der gutachterlichen Überprüfung nach der Probefahrt ausstieg und sagte: »Dieses Fahrzeug ist absolut unbeherrschbar.« Der Wagen hatte vorne überhaupt keine Bodenhaftung mehr. Fast 400 PS an der Vorderachse. Das Problem bei so einer Leistungsänderung ist: Man kann nicht nur den Motor, die Bremsanlage und das Fahrwerk umbauen. Man muss jegliche elektronischen Helfer wie ESP und ASR daran angleichen. Aber diese Systeme sind dann überhaupt nicht mehr in der Lage, vernünftig zu funktionieren, weil sie für diese Leistung überhaupt nicht konzipiert wurden. 
Ein anderer Fall war ein Audi aus  Berlin. Der Wagen war komplett umgebaut worden: Ein relativ altes Automodell mit einem neuen Motor. Dann gab es diverse  Umbauten an Fahrwerk, der Rad-Reifen-Kombination, der  Abgasanlage – alles Mögliche war verändert. Eine richtige Bastelbude, wie man gerne sagt. Man hätte für jede Änderung eine Einzelabnahme haben müssen. Dieses Fahrzeug entsprach überhaupt nicht mehr dem, was es irgendwann  einmal gewesen ist.

 

Gibt es Faustregeln, wie man illegales Tuning auch als Nicht-Experte erkennen kann? 

Weise: So genannte Airride-Fahrwerke zum Beispiel. Wenn die im geparkten Zustand quasi mit der Karosserie auf dem Boden aufliegen, ist das schon ein Indiz dafür, dass dieses Fahrwerk in der Stellung nicht zulässig ist. Der Klassiker sind auch getönte Rückleuchten. Wenn man die  Kofferraumklappe aufmacht und sieht, dass die  Leuchten lackiert sind oder anderweitig bearbeitet wurden, damit sie dunkler werden. Das ist auch nicht zulässig. Außerdem: Wenn es beim Vorbeifahren schon fast in den Ohren schmerzt, also bei etwa 130  Dezibel, dann stimmt meist etwas nicht. Es gibt kaum Fahrzeuge, die überhaupt so laut sein dürfen. 

 

Was sind denn Eigenschaften, die man mitbringen sollte, wenn man beim Verkehrsdienst arbeiten möchte?

Weise: Man sollte eindeutig eine Affinität zum Themenbereich Verkehr mitbringen und auch ein gewisses technisches Grund-verständnis haben. Dann sollte man Spaß daran haben, Kontrollen komplett selbstständig und von Anfang bis Ende durchzuführen. Und ganz wichtig ist es natürlich, dass man gewillt ist, sein Wissen um Themenfelder und Bereiche zu erweitern, die man bisher vielleicht noch nicht kennt. Das ist zum Teil komplex, aber eben auch sehr interessant. Zumal man sein Fachwissen dann auch an Kolleginnen und Kollegen weitergeben kann.

 

Und wie kann man sich aus Ihrer Sicht speziell auf den Bereich Tuning vorbereiten?

Weise: Als erstes im Fortbildungskalender des LAFP NRW das Seminar zu Tuning heraussuchen und belegen. Das ist wirklich ein sehr guter Einstieg. Ansonsten gibt es noch einen Tuning-Leitfaden, der von einem Dezernenten des LAFP NRW entwickelt wurde. Ein weiterer Leitfaden, den ein Kollege außerhalb von NRW entwickelt hat, ist auch sehr hilfreich. Darin werden die verschiedenen Baugruppen und -teile in ihrer Funktion erklärt und wie sich Veränderungen darauf auswirken. Das ist sehr gut gemacht. Ich habe außerdem selbst eine Handlungsempfehlung zusammengestellt, um Kolleginnen und Kollegen mehr Handlungssicherheit zu geben. Ich bin zum Beispiel darauf eingegangen, wie man gewisse Manipulationen mit einfachen Maßnahmen und Handgriffen erkennen kann.

 

Wird der Verkehrsdienst aus Ihrer Sicht falsch eingeschätzt?

Weise: Ich denke, der Verkehrsdienst hätte mehr Ansehen verdient. Vor allem, wenn man überlegt, welche Fachkenntnis notwendig ist, um eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat überhaupt zu erkennen. Der Verkehrsdienst ist wirklich alles andere als langweilig.   

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